Gregors Pontifikat im ausgehenden 6. Jahrhundert fiel in eine Zeit kirchlicher und politischer Krisen. Durch die schwindende staatliche Unterstutzung in Rom und Italien musste zunehmend die Kirche Verantwortung fur die Nahrungsmittelverteilung, Sicherheit, Armenfursorge und andere ehemals staatliche Aufgaben ubernehmen.Susanne Barth zeigt, dass diese Herausforderung in Gregors Schriften wahrzunehmen ist, wenn sie konsequent vor ihrem historischen Hintergrund gelesen werden. Insbesondere die Neukontextualisierung der "Moralia in Iob", die hier erstmals im Umfeld ihrer Endredaktion betrachtet werden, zeigt auf, wie stark Gregors Theologie durch seine persoenliche Erfahrung gepragt ist. Der Dienst am Nachsten erlangt in seinem Denken eine immer zentralere Stellung. Die christliche Gemeinde beschreibt er als reziproke Dienstgemeinschaft, in der jedes Glied auf je eigene Weise Hilfe leistet, ebenso aber auf die Unterstutzung anderer angewiesen ist. Schrittweise entwickelt sich die utilitas proximi zum massgeblichen Kriterium fur jegliches ethische Handeln, das auch Gregors eigenes Wirken bestimmte.