Litterae Et Theologia
1 primary work
Book 4
Der Koran ist noch immer nicht Teil des europaischen Wissenskanons, obwohl er tief in der biblischen Tradition verwurzelt ist. Er gilt weithin noch als exklusiv islamischer Text. Die kritische Bewertung seiner Beziehung zur Bibel und damit zur europaischen Tradition setzt seine Einbettung in die - auch fur das spatere Europa formative - spatantike Kultur voraus, in die er sich theologisch innovativ einbrachte. Die grossen Fragen der Zeit wurden nicht nur von Rabbinen und Kirchenvatern, sondern auch von der koranischen Gemeinde debattiert. Ihre besonderen Antworten verdienen daher als Beitrage zu einer neuen, sich intensiv in die laufenden Religionsdebatten einbringenden Theologie Beachtung. Die sich dabei abzeichnende Fokussierung des gesprochenen Wortes als der massgeblichen Manifestation Gottes in der Welt kann nicht ausserhalb des besonderen kulturellen Umfelds gesehen werden, in dem lokale Dichtung der arabischen Hochsprache bereits eine besondere Aura verliehen hatte. Der neue Blick auf den Koran erfordert jedoch gleichzeitig eine kritische Neureflektion unserer modernen - nie ganz unpolitischen - Philologien. Der Blick muss frei werden fur die Textpolitik des Koran, die den Prozess der Islamentstehung am ehesten erkennbar macht.