Book 1

Eine grundlegende Annahme der klassischen Theorie der Politik lautet: Politik ist nur in der Polis moeglich ? einer Stadt, in der alle mit allen diskutieren und uber alles mitentscheiden koennen. Eine zentrale Frage der modernen Theorie der Politik lautet: Wie ist Politik ausserhalb der Polis moeglich ? in einem Flach- staat, in dem nicht alle mit allen kommunizieren und nicht alle uber alles mite- scheiden koennen? Bis in die siebziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts lau- te die optimistische Antwort: Die Medien informieren sachlich angemessen uber das politische Geschehen und die Bevoelkerung entwickelt anhand ihrer Beric- erstattung realistische Vorstellungen und begrundete Meinungen, die zur Gru- lage ihrer Wahlentscheidung werden. Diese Annahmen wurden durch theore- sche UEberlegungen und empirische Forschungsergebnisse grundlegend in Frage gestellt. Mit Blick auf die Medien gehoeren dazu vor allem zwei Erkenntnisse. Bei der Politik handelt es sich erstens nicht um eine Gegebenheit, uber die die - dien berichten; vielmehr geschieht in der Politik vieles nur deshalb, weil die Medien berichten. Zwischen Politik und Medien bestehen komplizierte We- selbeziehungen, so dass man die Berichterstattung nicht einfach als Darstellung einer vorgegeben Realitat betrachten kann. Die Politikberichterstattung der - dien orientiert sich zweitens nicht nur am politischen Geschehen, sondern auch an den Sichtweisen der Journalisten und redaktionellen Linien ihrer Publika- onsorgane. Die Medien sind keine neutralen Vermittler, die allen Politikern und Aktivitaten gleiche Chancen bieten, sondern eigenstandige Akteure, die die Vermittlung von Politik an die Bevoelkerung nicht nur foerdern, sondern gelege- lich auch behindern.

Book 2

Publizistische Konflikte sind Weichenstellungen. Im Vergleich zur Dauer der Normalberichterstattung der Massenmedien handelt es sich zwar nur um kurze Ausnahmefalle. In diesen Phasen ist die Berichterstattung jedoch wesentlich intensiver und die Meinungsunterschiede zwischen den verschiedenen Lagern sind erheblich groesser. Zudem entscheidet der Ausgang von publizistischen K- flikten daruber, in welche Richtung sich die oeffentliche Meinung und in ihrem Gefolge das Verhalten von Menschen bewegt. Die gesellschaftliche Bedeutung von publizistischen Konflikten ist deshalb groesser als ihre kurze Dauer vermuten lasst. Dies gilt noch mehr fur Skandale. Skandale kann man als Grenzfalle von publizistischen Konflikten betrachten. Bei Skandalen geht es nicht mehr um die Vorherrschaft im Meinungskampf, sondern um die Folgerungen aus den emot- nal aufgeladenen Mehrheitsmeinungen. Es geht um die moralische Exekution der Skandalisierten. Der erste Teil des vorliegenden Bandes enthalt begrifflich-theoretische Grundlangen zur Analyse von publizistischen Konflikten und darauf aufbauend mehrere empirische Untersuchungen. Den Auftakt bildet eine Fallstudie zur Struktur und Eigendynamik von publizistischen Konflikten anhand von Heinrich Boells Forderung nach ?freiem Geleit? und ?Gnade? fur Ulrike Meinhof. Sie zeigt exemplarisch, dass in derartigen Auseinandersetzungen die Argumente, die sie ausgeloest haben, schon nach kurzer Zeit keine nennenswerte Rolle mehr spielen. Es folgen quantitative Analysen der Berichterstattung uber gewaltsame Aus- nandersetzungen zwischen Polizisten und politischen Aktivisten sowie ein Ex- riment zum Einfluss von Fernsehberichten uber gewaltsame Auseinandersetz- gen auf die Anhanger und Gegner der Kontrahenten. Die zuerst genannten A- lysen zeigen, dass die Art der Berichterstattung im Wesentlichen eine Folge der asymmetrischen Struktur der Konflikte zwischen Aktivisten und Polizisten ist.

Book 3


Book 4

Medieneffekte

by Hans Mathias Kepplinger

Published 28 September 2010
Das Interesse an den Wirkungen der Massenmedien war von Beginn an ereign- getrieben. Dies gilt verstandlicherweise fur die oeffentliche Diskussion, trifft jedoch auch auf die Forschung zu. Treibende Krafte waren Medieninnovationen auf der Grundlage von technischen Erfindungen ? die Entstehung der Zeitungen, des Hoerfunks, Films und Fernsehens. Typische Fragen lauteten: Verdrangen die neuen die alten Medien? Koennen die Nutzer noch die Realitat von der Darst- lung unterscheiden? Fuhrt das Unterhaltungsangebot zur Weltflucht? Steigt das politische Interesse mit der Verfugbarkeit der Informationen? Entstehen neue Formen der politischen Partizipation? Nach der Entwicklung des Internet zu einer Plattform fur alle denkbaren Kommunikationsweisen werden die gleichen Fragen gestellt wie damals. Jede dieser Fragen ist berechtigt. Allerdings lenkt die Fixierung auf das jeweils neueste Medium davon ab, dass mit den Fragen theo- tische und methodische Probleme verbunden sind, die bereits vor Jahrzehnten geloest wurden. Teilweise sind aber seit langem bekannte, theoretische und - thodische Probleme noch immer ungeklart, weil auch das wissenschaftliche In- resse modischen Trends folgt und scheinbar neue Fragen aufwirft, bevor die alten beantwortet sind. Der vorliegende Band ist wie ein Lehrbuch angelegt und kann als Einf- rung in ein breites Spektrum von Theorien und Methoden gelesen werden. D- halb werden drei aufeinander aufbauende Problembereiche der Wirkungsf- schung durch begrifflich-theoretische Beitrage eingeleitet und anschliessend anhand von empirischen Studien konkretisiert. Aus dem gleichen Grund werden die Erhebungs- und Analysemethoden allgemein verstandlich und nachvollzi- bar beschrieben, die Darstellung der statistischen Analyseverfahren aber auf das notwendige Mindestmass beschrankt.

Book 5

Alles Wissen und jede Meinung beruht auf Voraussetzungen. Dies gilt auch fu r unsere Vorstellungen vom aktuellen Geschehen, u ber das die Medien berichten. Allerdings ist die Vermutung meist falsch, die Medien wu rden nur u ber Ereignisse berichten, die unabha ngig von ihrer Berichterstattung geschehen. Tatsa chlich sind viele Ereignisse, u ber die die Medien berichten, eine Folge ihrer vorangegangenen Berichterstattung, und andere wu rden gar nicht geschehen, wenn die Akteure nicht erwarten wu rden, dass die Medien daru ber berichten. Auch die Vermutung, die Medien wu rden u ber eine Serie von a hnlichen Ereignissen berichten, weil sie sich gerade ha ufen, ist oft falsch, weil die Medien nach Schlu sselereignissen auch dann ha ufiger u ber a hnliche Ereignisse berichten, wenn sie nicht ha ufiger geschehen als fru her. Die Beziehung zwischen Realita t, Darstellung, Vorstellung und Verhalten ist aus den genannten und einer Reihe von anderen Gru nden komplex, folgt aber erkennbaren Regeln. Im vorliegenden Band wird in theoretischen und empirischen Studien gezeigt, wie und warum die Massenmedien zur Konstruktion der sozialen Realita t beitragen und was man daraus fu r die Praxis folgern kann.

Book 6