Untersuchungen zur Deutschen Literaturgeschichte
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Book 121
Schon immer war der Blick ins All mehr als Himmelsbetrachtung. Es galt, den Kosmos - das Weltganze als gesetzmassige und bedeutungsvolle Konfiguration - wie auch den Status seines Betrachters aus der Bestimmung von Zeichen zu konstituieren. So ist die Geschichte der Himmelsbetrachtung zugleich eine Geschichte der Hermeneutik kosmischer Zeichen. Wo literarische Allbetrachter zum Himmel blicken, geht es deshalb um mehr als um semantische Bestimmungen des Kosmos. Welt- und Selbstdeutungen des Betrachters sind hier mit der grundsatzlichen Frage nach der Lesbarkeit von Zeichen verknupft. Darum ist der kosmische Augenblick der Moment, in dem die Texte ihre eigenen Bedingungen reflektieren. Brockes' "Irdisches Vergnugen in Gott" erprobt am unermesslichen Himmel die mimetischen Leistungen einer an klassischer Abbildtheorie geschulten Beschreibungskunst. Dabei wird das All zum Darstellungsproblem. In Jean Pauls "Titan" dehnen die kosmischen Augenblicke gerade im Bemuhen, die Urbildsphare zu erreichen, das Reich der Zeichen weiter aus. In Goethes "Wanderjahren" genugt sich der Kosmos der Zeichen selbst als unaufhoerliche Rede, die "immer weitergehen kann". Stifters "Condor" schliesslich versucht eine neue Gegenstandlichkeit, doch ist das All vor allem die Variable, welche die Betrachter mit literarischen Kosmosbildern fullen. Die Kosmosschau der Literatur ist in der Zeit des kosmologischen Umbruchs vom geschlossenen zum nachkopernikanischen Himmel also vor allem Betrachtung des Kosmos der Zeichen; ein Blick, den der Text auf sich selber wirft.