Book 3

Thomas Klinkert untersucht den poetologischen Zusammenhang von Musse und Erzahlen anhand von literarischen Texten in italienischer, franzoesischer, spanischer und deutscher Sprache vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Er zeigt, wie in diesen Texten das Erzahlen als soziale Kommunikationshandlung oder als individueller Schreibvorgang aus Situationen der Musse heraus entfaltet wird oder aber wie die Musse Anlass gibt, uber kunftige Schreib- und Erzahlhandlungen nachzudenken und diesen Vorschub zu leisten. Im diachronen Langsschnitt vom 13. bis zum 20. Jahrhundert wird nicht nur der grundlegende poetologische Nexus von Musse und Erzahlen erkennbar, sondern es werden auch historisch je unterschiedliche Semantisierungen von Musse und die damit verbundenen unterschiedlichen Auffassungen von Individualitat, Gesellschaft und Kommunikation erkennbar. Anhand von Texten wie dem Roman de la Rose, Boccaccios Decameron, Sannazaros Arcadia, Montaignes Essais, Cervantes' Don Quijote, Rousseaus Reveries du promeneur solitaire, Stifters Nachsommer, Prousts A la recherche du temps perdu oder Sempruns Quel beau dimanche arbeitet der Autor diese Zusammenhange textanalytisch differenziert heraus. Musse erscheint dabei als Moeglichkeitsbedingung fur Produktion und Rezeption von Erzahltexten und zugleich als Reflexionsfigur, welche dazu dient, die poetologische Spezifizitat des jeweiligen Textes in seinem historischen Kontext und seiner Selbsteinordnung in die literarische Reihe zu markieren. Damit schlagt Thomas Klinkert den Bogen von einer allgemein anthropologischen Betrachtung des Phanomens Musse hin zu dessen literarhistorisch spezifischer, narratologisch-poetologischer Beschreibung.