Goldmann-Studienreihe Gesellschaft
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Entwicklungssoziologie: Begriff, Mode, Politik Die Entwicklungssoziologie oder Soziologie der Entwicklungslan- der ist als besonderer Untersuchungsbereich eine der typischen Bin- destrich-Soziologien und weit mehr noch als andere, ahnlich gela- gerte Themen einer Vielzahl von Einflussen aus Nachbardisziplinen unterworfen. Eine sich aus der Komplexitat des Untersuchungsge- genstandes ergebende, zwangslaufige Offenheit in wissenschaftli- cher Hinsicht geht notwendig zusammen mit der notorischen Aktua- litat der Probleme der Entwicklungslander, die sich in Tagespresse und Verlautbarungen zahlreicher Institutionen widerspiegelt. In gewisser Weise ist damit die Herausbildung einer Entwicklungsso- ziologie nichts anderes als die Verlangerung der oeffentlichen De- batte um eine umfassende, gegenwartig krisenhaft zugespitzte Pro- blematik, die jedoch unter einem spezifisch soziologischen Gesichts- punkt stattfindet. Wie die allgemeine Soziologie selbst versteht sich die Entwicklungs- soziologie grundsatzlich als eine kritische Wissenschaft, in dem Sinne, dass sie ganz entscheidend von der kritischen Analyse des Etablierten und Faktischen lebt. Ihre Funktion ist somit auch in erster Linie entlarvend und aufdeckend, und das gleich in zweifa- cher Hinsicht: zum einen entlarvend gegenuber dem historisch fun- dierten Verhaltnis der Industriegesellschaften zu den Entwicklungs- landern, zum anderen auch aufdeckend gegenuber den Verhaltnis- sen in den Entwicklungslandern selbst. Es ist eine Grundforderung an den Entwicklungssoziologen, dass er die Argumente und Ver- _ hal1!ensweisen der herrscheniden Gruppen in Entwicklungslandern genauso kritisch uberpruft, wie er es in seiner eigenen Gesellschaft auch tun wurde. Erfullt er diese Forderung nicht, so lauft er Gefahr, sich in genau der gleichen, eifersuchtig gehuteten Herrschaftsposition wiederzufinden, die er womoeglich an anderen oder in anderen Fal- len kritisiert.