Book 276

In den Papyrusbriefen kaum gebildeter Absender sozial niederer Herkunft meinte A. Deissmann zu Beginn des 20. Jh. eine Erklarung fur die formalen und stilistischen Unterschiede der paulinischen Briefe gegenuber den literarischen Briefen gefunden zu haben. In diesen Unterschieden spiegle sich nicht der semitisch-judische Hintergrund der Paulusbriefe, sondern ihre Zugehoerigkeit zur nichtliterarischen Gebrauchsprosa. Damit einher ging die Betonung des Gelegenheitscharakters der Paulusbriefe, der sie zum unmittelbaren und ungekunstelten Ausdruck der Person und des religioesen Empfindens ihres Verfassers mache. Gegenuber diesen Positionen, die bis heute in der neutestamentlichen Forschung prasent sind, stellt Thomas Johann Bauer ausgehend von den Briefen an Philemon und an die Galater die Frage, ob die Briefe des Paulus tatsachlich so unliterarisch und kunstlos sind, wie A. Deissmann meinte. Dazu entwickelt er auf der Grundlage der antiken Brieftheorie und im Blick auf die formalen Konventionen und Funktionen des Briefes in der Antike differenzierte Kriterien fur die Analyse und Kontextualisierung der paulinischen Briefe. Zusatzlich werden kommunikationstheoretische UEberlegungen einbezogen, die in den letzten Jahren in der Klassischen Philologie fur die Analyse antiker Briefe nutzbar gemacht wurden und den Blick fur die gezielte briefliche Selbstdarstellung des Absenders gescharft haben. Auf der Grundlage dieser methodischen UEberlegung entsteht ein Programm, das auch eine nahtlose Integration rhetorischer Aspekte (Argumentation und Ethopoiie) in die Briefanalyse ermoeglicht.