Urs M. Fiechtner, geboren 1955 in Bonn, gehört zu den wenigen Schriftstellern seiner Generation, die sich von Anfang an - also ohne den Umweg über einen „Brotberuf“ - der Literatur verschrieben haben. Er wuchs in Chile heran, spielte dort auf Kindergeburtstagen Sackhüpfen mit Offizieren, die später zu Kommandeuren von Folterzentren avancieren sollten und legte sich im Alter von sieben Jahren darauf fest, später „entweder Schriftsteller oder Indianer zu werden“.
Das mit dem Indianer hat nicht geklappt.
Zurück in der Bundesrepublik, flog er in kurzen Abständen von mehreren Schulen - erst wegen seiner Abneigung gegen rechtsradikale Lehrer, zuletzt wegen einer wachsenden Abneigung gegen die Schule an sich – machte seinen Zivildienst, gründete 1976 die inter-kulturelle autorengruppe79 und gab mit 21 Jahren sein erstes Buch heraus: eine Lyrikanthologie über Freiheit und Zivilcourage, die zu seiner eigenen Überraschung sofort ein Erfolg wurde. Seitdem sind zahlreiche Lyrik- und Prosabände erschienen, viele davon in Zusammenarbeit mit Sergio Vesely oder anderen Mitarbeitern der Autorengruppe.
Fiechtners Veröffentlichungen zeigen ein in Formen und Themen weit gefächertes Spektrum, das gleichermaßen eine sehr vielseitige Lyrik wie Prosa umfasst und bis hin zu Interpretationen indianischer Überlieferungen, historischen Erzählungen, dokumentarischen Skizzen, Satiren, Übersetzungen, Jugendbüchern, Sachbüchern oder Literatur-&-Musik-Aufnahmen reicht. Den Schwerpunkt seiner Arbeit legt er auf die Lyrik und auf den variantenreichen Umgang mit Formen der Kurzprosa, schreibt jedoch auch Jugendbücher, von denen schon sein erstes („Annas Geschichte“) viele Literaturpreise erhielt, in mehrere Sprachen übersetzt wurde und mittlerweile als Klassiker gilt - obwohl er, wie er sagt „eigentlich nicht weiß, was ein Jugendbuch ist...“ Vielleicht werden sie gerade deshalb von Jugendlichen ebenso gerne gelesen wie von Erwachsenen.
Fiechtner kann bei seiner Arbeit auf zwei Sprachen und zwei Kulturkreise zurückgreifen. Der stilistische Reichtum lateinamerikanischer Poesie steht ihm ebenso zur Verfügung wie die präzisen Gestaltungsmittel der deutschsprachigen Literatur, er bleibt weder den Grenzen der einen noch der anderen Sprache verhaftet und hat damit zu einem unverkennbar eigenen Stil gefunden, der Bilderkraft und Präzision miteinander vereint ( Jean Améry über Fiechtner: „Hier wird das Wort selbst Ereignis, und zwar nicht nur als Wort, sondern als einbrechendes Geschehen.“).
Ebenso interessant wie der literarische Brückenschlag zwischen Formen und Kulturen ist für Fiechtner die Verbindung von Literatur und Musik. So entstand in der Zusammenarbeit mit Sergio Vesely die Konzertlesung als symbiotische Einheit aus Lyrik und Lied, Prosa und Musik, aus dem gesungenen wie dem gesprochenen Wort. Sie ist heute, nach ungezählten Auftritten überall im deutschsprachigen Raum, zu einem festen, längst auch von anderen Künstlern übernommenem Begriff geworden.
Fiechtners Konzertlesungen und Autorenlesungen brachten ihm den Ruf eines herausragenden Vorlesers ein, der „das oft bestätigte Vorurteil widerlegt, dass man Dichter nicht ihre eigenen Werke lesen lassen soll.“ (WAZ). Nicht wenige seiner Lesungen finden inzwischen in Schulen und Universitäten statt, da manche Texte oder ganze Bücher vielerorts Eingang in den Unterricht gefunden haben und Jugendliche ebenso wie Studierende ihn als anregenden, humorvollen und äußerst kenntnisreichen Gesprächspartner schätzen (einen anständigen Schulabschluss hat er aber immer noch nicht...).
Viele seiner Bücher beruhen auf Dokumentarmaterial aus aller Welt und befassen sich mit zeitgeschichtlichen Themen, die ihn nicht allein als Schriftsteller, sondern schon seit seiner Schülerzeit als ehrenamtlichen Mitarbeiter von Menschenrechtsorganisationen beschäftigen. Die Freiheit, das Recht, die Würde, die Identität und Integrität des Menschen - das sind seine Themen, über die er in vielgestaltigen Formen und weit jenseits von Larmoyanz oder Bitterkeit immer wieder geschrieben hat und immer wieder schreiben wird.
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